Zwischen Zweifel und Hoffnung
Foto: Rolf Arnold; Copyright: Schauspiel Leipzig

Ein bleierner Betonblock, der sich über drei Etagen erstreckt, daran in Neonfarben schreiende Plakate der Hitlerjugend. Aus der Ferne schallert das knackende Mikrofon von Obergruppenführer Heitler, der mit stolzer Brust die Unterwerfung Frankreichs verkündet. Das ist der Dreh- und Angelpunkt der Lebenswelt von Ehepaar Quangel und den Leipziger Meuten, die jeder auf ihre eigene Art und Weise versuchen einen Umgang mit dem Nationalsozialismus zu finden. Und das unter widrigen Umständen.
Der Nährboden für Zweifel
„Mit Robertchen? Was soll denn mit dem sein? Nichts ist mit ihm. Es gibt kein Robertchen mehr.“
Frau Quangel
Nachdem das Ehepaar Quangel die Nachricht erhält, dass ihr einziger Sohn an der Front ums Leben gekommen ist, entreißt es Frau Quangel sprichwörtlich den Boden unter den Füßen. Damit einher geht auch der Verlust des gebetsmühlenartig wiederholten Glaubenssatzes an die Ordnung, die alles haben muss.
„Du mit deinem scheiß Führer!“
Frau Quangel
Gerade in der Figur von Frau Quangel, gespielt von Julischka Eichel, zeichnet sich sowohl stimmlich als auch körperlich die innere Zerrissenheit zwischen Hoffnung auf Veränderung und Überzeugung über die Ausweglosigkeit ihrer Lage ab. Der gesäte Zweifel am Regime findet schließlich weiteren Nährboden im zunehmend verschärften Alltag zwischen Verrat, Verfolgung und Verhaftung. Als Lösung dient das Auslegen von selbst geschriebenen Postkarten, die zum Widerstand gegen den Führer aufrufen.
Hoffnung auf Widerstand
Der Regisseur Armin Petras verbindet die Romangrundlage von Hans Fallada in der Tradition der Doppelbefragung am Leipziger Schauspiel nonchalant mit der Geschichte um die von Sascha Lange erforschte Geschichte der Leipziger Meuten, welche der Hitlerjugend als oppositionelle Jugendbewegung während des Nationalsozialismus die Stirn bot. Die Leipziger Meuten, dargestellt vom spielfreudigen Ensemble des Studio Leipzig, verstehen sich als der
gute Samen im Acker voll Unkraut
Trude
Sie sind es dann auch, die die Inszenierung durch ihre oft überstürzten, dafür aber umso überzeugteren Aktionen und Überfälle auf die Oldschool-Nazis aufmischen und Hoffnung auf Widerstand keimen lassen. Ihnen überlässt Petras es, die durch die gezielte musikalische Untermalung zeitweilig entstehende bleierne Stimmung mit pointierter Situationskomik zu durchbrechen und dem Zuschauer so ein wenig Luft zum Atmen zu verschaffen.
Ein Stoff im Hier und Jetzt?
Obschon der Roman „Jeder stirbt für sich allein“ im Deutschland der 1940er Jahre spielt, und die Meuten auch zu dieser Zeit agiert haben, wirkt vor allem die jüngere Generation im Stück manchmal mit ihren modernisierten Kostümen und englischsprachigen Plakaten à la „rechts rules“ oder „fck hj“ in die heutige Zeit versetzt. Manch Zuschauende mögen den Stoff in die heutige Zeit transferieren können, eine wirkliche Brücke scheint Petras aber nicht schlagen zu wollen.
Fazit
Trotz etwas mehr als drei Stunden Spieldauer mit einer Pause schafft es die Inszenierung durch die schnellen Szenenwechsel und die schauspielerische Leistung des Ensembles das Publikum bis zum Ende des Kampfes um Selbstbestimmung und Autonomie mitzunehmen. Besonders das Ehepaar Quangel verkörpert durch Julischka Eichel und Wenzel Bannemeyer überzeugen mit ihrer Bühnenpräsenz. Schonungslos und ohne moralischen Zeigefinger weisen sie auf die Frage nach der eigenen Verantwortung für sich selbst und andere in Zeiten faschistischer Entwicklungen.
Die Rezension zum Nachhören:
Moderation Moritz Döring
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