Der Ort zwischen Hell und Dunkel
Foto: Jairo Zavala Ruiz

Für ihr neuntes Studioalbum haben sich Calexico einen Arbeitsplatz ausgesucht, der das Instagramprofil aller nervigen Möchtegern-Influencer*innen problemlos blass aussehen lassen könnte. Das Panoramic House, ein zum Tonstudio umgebautes Wohnhaus an der Küste Nordkaliforniens, war die Geburtsstätte von „The Thread That Keeps Us“. Dort konnten sie nicht nur auf eine umfangreiche Sammlung an Instrumenten zugreifen, sondern auch die Romantik des Ortes für ihren Schaffensprozess nutzen. Das Panoramic House wurde aus Treibholz und alten Schiffsteilen gebaut, hat dicke Wände, hohe Decken und eine hervorragende Aussicht. Drummer John Convertino konnte von seinem Platz hinter dem Schlagzeug durch ein großes Fenster direkt auf den Pazifik schauen.
Heiter bis wolkig
Eine idyllische Arbeitsatmosphäre, die sich ohne Umwege auf die 15 Songs des Albums übertragen hat – könnte man meinen. Viele Songs auf „The Thread That Keeps Us“ klingen friedlich bis unbeschwert. „The Town & Miss Lorraine“ erinnert an einen typischen Folk-Song. Ein stetiges, aber zurückhaltendes Schlagzeug wird von Streichern und Bläsern begleitet, welche sich im Laufe des Songs immer mehr aufbauen. „Flores y Tamales“ punktet durch ruhigen Cumbiarhythmus mit prominenten Trompeten. In Songs wie „Spinball“ hingegen stehen E-Gitarre und Schlagzeug im Vordergrund.
Der Teufel steckt im Detail
Wer genau hinhört, erkennt eine vage Melancholie in „The Thread That Keeps Us“. Wer ganz genau hinhört, erkennt die politische Botschaft. Wie viele ihrer Landsleute beschäftigt das Ergebnis der US-Präsidentschaftswahl auch die Mitglieder von Calexico. Wut, Furcht und Unzufriedenheit werden hier allerdings nicht in lauten Protestsongs verpackt. Calexicos Protest ist feiner und spitzfindiger. In „Dead In The Water“ etwa wird die Geschichte eines Antihelden erzählt, dessen einziger Antrieb aus einer Mischung von Korruption und Gier besteht. Musikalisch wird der Effekt durch Verzerrungen verstärkt. Sänger, Gitarrist und Songwriter Joey Burns singt sogar eine Oktave tiefer als gewöhnlich, um seiner erdachten Rolle gerecht zu werden.
Tired of being the good cop, I'm gonna do what I please
Don't hand me any more allegations of misconduct or sanction me
I got the world in my hands, can make it rain or flood
I've got my fingers in all the pots and toxic waste in my blood, in my blood
Auf diese Art verarbeiten Calexico nicht nur ihre politische Besorgnis, sondern adressieren auch ein weites Thema, das ihnen am Herzen liegt: die Natur. Deren Zerstörung wird unter anderem im scheinbar so harmonischen „The Town & Miss Lorraine“ angesprochen:
There's a bad accident on the interstate
A snake of engine oil reaches out
Alles in Allem
Mit „The Thread That Keeps Us“ begeben sich Calexico zurück zu ihren frühen Indie-Rockwurzeln. Trotz tragenden Elementen wie E-Gitarre, Trompete und Synthesizer sind die Songs des Albums abwechslungsreich und kurzweilig. Darin eingewebt die bilderreichen Texte und subtilen Botschaften der Band. Damit ist „The Thread That Keeps Us“ das perfekte Album für alle, die politische Debatten leid sind. Denn die Themen, die Calexico ansprechen gehören auch weiterhin diskutiert und adressiert – nur muss man wissen, wie.
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